15.4.2009: Frankfurtenango, Alemania

Die peruanischen Anden aus 4900 Metern Höhe zwischen Arequipa und Chivay
Letztes Panorama vor dem Ende dieses Blogs!

Alles hat ein Ende, nur ich finde keins

Lange habe ich damit gewartet und mir überlegt, wie denn nun das Ende dieses Reisetagebuchs aussehen könnte. Der Anfang vom Ende ist, daß ich diesen Artikel am liebsten gar nicht geschrieben hätte, denn wer wacht schon gerne aus einem wunderschönen Traum auf?

Die Realität hat mich jedoch inzwischen wieder eingeholt, und mit etwas Abstand zur Reise kann ich auch eine kleine Nachbetrachtung anstellen, wie denn so die Resozialisierung nach einem ausgedehnten Trip durch fremde Kulturen gelingt: Anfangs schien es mir leicht - schon etwa nach der Hälfte meiner Reise hatte ich dieses bestimmte Gefühl, daß es jetzt auch nicht schlimm wäre, wenn ich wieder nach Hause müsste (ich glaube, so etwas nennt man auch "Heimweh"). Und so fühlte ich bei der Rückreise auch keinerlei Furcht vor dem bösen, grauen Alltag, sondern kam glücklich und mit der Überzeugung nach Hause, daß ich mich hier wohl fühle und auch gerne das mache, was ich mache.

Und so fand ich es auch ganz heimelig, wieder auf ebenen, sauberen Straßen zu fahren, gesäumt von viel zu vielen Schildern und voller Menschen, die sich tatsächlich an so etwas wie Verkehrsregeln halten. Eine warme Dusche zu haben, an der man sich keinen Stromschlag holt. Sich mit dem Wasser aus der Leitung die Zähne putzen zu können, ohne sich damit zu verseuchen.
An einem meiner ersten Arbeitstage traf ich auf der Fahrt zum Kunden dann diesen Landsmann, der einfach eine urdeutsche Ausstrahlung hat und den ich daher um eine Fotogelegenheit bat:

Herr R. aus L. mit frisch gepflückten Maiglöckchen, saubere Gehwege, ebene Straßen, viele Schilder ‒ willkommen in Deutschland!

Sicher, am ersten Tag auf dem Frankfurter Hauptbahnhof fühlte ich mich wie ein Außerirdischer, der verwundert und leicht überfordert die hektisch umherwuselnden Menschen auf der Suche nach der verlorenen Zeit beobachtet. Mein eher kubanisches Schrittempo wirkte da im Vergleich, als wollte ich Wurzeln schlagen. Ja, und hier, beim Lebenstempo, können wir uns von der LebensART der Latinos eine große Scheibe abschneiden - oder auch nochmal bei unseren großen Literaten nachlesen (für Eilige auch: nachschauen), daß wir über dem Versuch, Zeit zu gewinnen schnell vergessen können, was es heißt, das Beste aus der gegebenen Zeit zu machen.

Im Laufe der ersten vier Wochen setzte dann eine allmähliche, mentale Rückkehr ein, der dann allerdings nochmal ein Post-Itinerem-Blues folgte. Der war sicher nicht nur einem wieder aufkommenden Fernweh geschuldet, sondern auch dem vielen Gerede über die Bankenkrise, die in Südamerika zwar Gesprächsthema, aber kein Alltagsthema war, aber in den hiesigen Alltag schon eine gehörige Portion Unsicherheit brachte. Andererseits - auch das kann man in Lateinamerika gut Lernen - ist "Sicherheit" ein sehr trügerisches Gefühl, für das man schnell einmal leichtfertige Opfer bringt.
Und aus der Sicht eines durchschnittlichen Bolivianers jammern die Deutschen ohnehin auf sehr, sehr hohem Niveau.

Dennoch: Die Grundstimmung ist vor allem positiv, ein Gemisch aus Glücksgefühl, neu gelernter Bescheidenheit und tiefer Dankbarkeit für das Privileg, solche Erfahrungen machen zu können. Und dafür, daß ich nun eine Menge schöner Orte in mir trage, an die ich ganz einfach zurückkehren kann, indem ich nur die Augen schließe.

À propos Sicherheit: Das war eine sehr angenehme Erfahrung nach meiner Rückkehr: Auf unseren Straßen auch noch lange nach Sonnenuntergang unterwegs sein zu können, ohne automatisch überfallen zu werden; draußen im Garten zu sitzen, ohne daß der von mit Stacheldraht bewehrten Mauern und Wächtern mit Schnellfeuerwaffen umgeben ist, weil andernfalls kriminelle Banden einfallen würden.
Auch manch andere Erkenntnis wird sicher nicht verblassen: Zum Beispiel, daß wir nicht die einzig wahre Kultur auf diesem Planeten sind, daß es eine Fülle von Lebensentwürfen gibt, die es alle wert sind, gelebt zu werden. Daß man immer wieder einen Schritt in unbekanntes Terrain wagen sollte, um seinen Horizont zu erweitern. Und daß Pläne dafür da sind, geändert zu werden.

In diesem Sinne: Macht's gut!



Bilanz in Zahlen und Fakten

Reise-Checkliste
  • Horizont erweitern
  • Spannende, weltoffene Menschen kennen lernen
  • Möglichst viele verschiedene Transportmittel nehmen
  • Reiten
  • Tauchen lernen
  • Bergwandern
  • Einen aktiven Vulkan besteigen
  • Lava sehen
  • Spanisch verbessern
  • In einem Kratersee baden
  • Exotische Fauna und Flora sehen
  • Lokale Kulturen und Menschen kennen lernen
  • Versuchungen widerstehen
  • Heiratsantrag machen
  • Draussen übernachten
  • Pinguine sehen
  • Neues Spiel lernen
  • Neue Witze lernen
  • Fußspur in frischem Beton hinterlassen
  • Etwas gestohlen bekommen
  • Sicher nach Hause kommen


Leuchtende Tage
Nicht weinen, daß sie vorbei;
lächeln, daß sie gewesen.
(Dao De Jing / Lao-Tse)

10.4.2009: Santiago de Chile, der Kreis schliesst sich

Eine Sache hatte ich im letzten Artikel unterschlagen: Als wir in Calama mit dem Bus aus der Wüste ankamen, stiegen wir direkt in einer Straße voller Friseurläden aus ‒ die Aufnahme von Isabelles frisch geschnittener Latina-Frisur will ich Euch natürlich nicht vorenthalten!

Friseurin und Kundin im Einheits-Look

Die Ankunft in Santiago de Chile war für uns ein erster Zivilisationsschock, der uns schon einmal auf die Rückkehr ins alte Europa vorbereiten sollte. Das begann schon mit dem Taxi vom Flughafen zum Hotel, in dem ein großer Flachbildschirm aus dem Dach herunterklappte und unsere übermüdeten Augen während der Fahrt mit hektisch geschnittenen Pop-Videos bombardierte. Und dann natürlich die Stadt selbst, eine moderne, geordnete und betriebsame Großstadt, wie sie auch irgendwo in Europa stehen könnte ‒ wäre da nicht die eindrucksvolle Andenkulisse im Hintergrund.

Ein letztes Panoramabild: Blick vom Cierro San Cristóbal über Santiago (120°)


Daraufhin mussten wir erst einmal die spätestmögliche Check-out-Zeit ausreizen und bis 11 Uhr schlafen, damit wir um 12 Uhr an der Rezeption sein konnten. Anschließend war noch ein Bummel durch die sonnige Stadt geplant, denn der Flug sollte erst am späten Abend gehen. Die Stadt präsentierte sich sehr ruhig, schließlich war es Karfreitag, und da haben zum einen fast alle Geschäfte (und auch Restaurants!) zu, und zum anderen hatten viele Santiaguinos ihre Stadt verlassen, um die Ostertage am Meer oder bei Verwandten im Umland zu verbringen. Nur in der Markthalle war ordentlich was los, hier sammelten sich die verbliebenen Stadtbewohner, aßen frischen Fisch aber auch Fleisch und wurden von umherziehenden Musikern bespaßt. Nicht ganz das, was man von Katholiken am Karfreitag erwarten würde...

Nun, der Tag ging schnell vorüber, wir genossen noch einmal die sommerliche Nachmittagssonne und waren uns schnell darüber einig, daß Santiago eigentlich eine ganz angenehme Großstadt ist. Dann wurde es auch schon Zeit, zum Hotel zurück zu gehen, wo das bestellte Taxi auf uns wartete, um uns zum Flughafen zu bringen.

Unser A340 wird startklar gemacht.

Nach aufwendigen Sicherheitskontrollen ‒ schließlich ging es jetzt ja nach Europa und nicht mehr in das vergleichsweise lockere Südamerika ‒ und zwei Stunden Langeweile im Terminal war es dann soweit: Flug LA 704 startete pünktlich mit Zwischenziel Madrid. Ein wehmütiger Blick zurück auf Santiago bei Nacht und die stockfinsteren Anden, noch ein Kinofilm und ein chilenischer Cabernet Sauvignon, dann Ohrstöpsel rein, Augenmaske auf und einschlafen.

Die Lichter von Santiago in einer 45°-Kurve

Madrid erwartete uns mit europäischer Terror-Paranoia: Alle Passagiere mussten das Flugzeug verlassen, nur um vor dem Wiedereinstieg in dasselbe Flugzeug noch einmal komplett durchleuchtet zu werden und ihr Handgepäck durchwühlen zu lassen. Man traut den Chilenen in puncto Sicherheit offenbar nicht.
Dann wieder ein paar Stunden Langeweile im Terminal, kombiniert mit dem Besuch des teuersten und gleichzeitig kundenunfreundlichsten Internet-Cafés meiner Reise: 8 €/h bzw. 3 €/20 min., keine Getränke erlaubt (warum heißt das noch "Café"?), Headsets für Skype kosten extra. Zum Glück hatte ich noch das ramponierte Headset von Gerry zur Hand.

In Frankfurt erwartete mich dann allerdings ein herzlicher Empfang in Gestalt meiner Mutter, und aller Müdigkeit zum Trotz quasselte ich munter mit allen meinen Erlebnissen auf sie ein, während wir zum frankfurter Hauptbahnhof fuhren. Dort trennten sich unsere Wege wieder, weiter ging es mit der S-Bahn zu Isabelles Eltern, um dort das Auto abzuholen und selbstverständlich vorher auch ein wenig über die Reise zu parlieren.
Ein schöner Anfang zurück in der Heimat, auch wenn die Temperaturen etwas zu wünschen übrig ließen. Bleibt abzuwarten, wie sich die kommenden Tage und Wochen anfühlen werden. Darüber werde ich in Kürze berichten.